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Aus dem Tagebuch
Auf der Seite "schlagetter-p.de" mit freundlicher Genehmigung von Herrn Stefan Endemann veröffentlicht. Nov.2024
Ein Auszug "Rittersaal 1817" ist in einer separaten Datei gespeichert.
Kommentar ebenfalls in einer separater Datei...
Endemann Betreffe: Liste über "Stichwortsuche"
Aus dem Tagebuch des Hermann Ernst Endemann (1795 - 1846)
"Übertragen - anfangs mit Hilfe und Mitarbeit von Studienrat
Dr. Schweckendiek in Hannover - von Dr. Wilhelm Endemann,
Rechtsanwalt u. Notar in Celle (Hannover), aus dem Original,
einem kleinen ledergebundenen Tagebuch, welches im Besitz
von Dr. jur. Helmut Endemann, Heidelberg.
April 1947 beendet."
Seite 2 - 14 Feldzug nach Luxemburg 1813 - 1814
Seite 14 - 48 Studium und Beruf in Marburg 1814 - 1822 (*1)
(Original jetzt im Dt. Historischen Museum, Berlin)
betreff der Prinzen zu Solms und der Burg Braunfels :
Strassen den 30sten. März 1814. [ . . . . ] Es war gerade der Sonntag. Den ganzen Tag
über hatten wir schon dunkle Gerüchte davon gehabt u. ferne Kanonenschüsse gehört; endlich
gegen Abend um 6 Uhr gab es Allarm, wir rückten aus u. in einem weiten Umwege Ft. Weiler, dem
vorigen Hauptquartier zu. Wir hatten einen fürchterlichen Marsch. Es hatte die ganze Zeit geregnet,
und wir mussten immer bis in die Knie im Dreck marschieren. Dabei gab es alle Augenblicke einen
Halt, weil unsere Bagage nicht nach konnte. Gegen Morgen endlich kamen wir auf der Höhe von
Grebenscheuer an, wo wir schon ein Theil der Landwehr, Prinz Solms, und unsre schwarze Jäger
trafen. Sie waren in einem fürchterlichen Zustande, ganz bleich, ausgehungert und matt, lagen sie
wie blosse Schatten um die Feuer herum im nassen Lande. - Wir machten hier einen kleinen Halt,
um uns ein wenig zu erholen, u. ich gieng in ein Haus, wo ich mit Conrad noch zu gutem Glücke
ein Plätzchen in der warmen Stube fand. Hier labte ich auch meine lechzende Zunge mit einem
Schluck Wein, denn der Brunnen vor dem Thore war trocken getrunken. [ . . . . ]
Die Pfingstferien [1817] benutzte ich, um mich noch etwas mehr zu zerstreuen, zu
einer Reise nach Braunfels, wo ich die schätzbaren Prinzen von Solms kennen lernte, in welcher
Gesellschaft ich bald viele angenehme Stunden verlebte, da sie in Marburg dies Frühjahr zu
studieren angefangen hatten. Ihre Ankunft machte es dort ein wenig lebhaft, und die Gesellschaften
drängten sich. Nach 8 recht angenehm verlebten Tagen kehrte ich wieder zurück und kam gar bald
in mein altes Geleise.
Die angefangene Bekanntschaft mit den Prinzen von Braunfels und ihrem
Hofmeister, dem Rath . . . . , knüpfte ich inzwischen von neuem an und verlebte in der Gesellschaft
dieser viele sehr vergnügte Abende. Wenn man so wie ich in einer kleinen Provinzialstadt geboren
und erzogen ist, die Fürsten daher nur im Landesfürsten aus dem Anblick ihres Hofstaates oder
eines misslungenen Versuches, ihnen seinen Respect persönlich um des künftigen Wohles willen in
der Hauptstadt zu bezeigen, kennt, (wo die getäfelten Fussböden - so kalt und glatt sie sind - an die
Fussohlen brennen), da ist es ein ganz neues, für den Anfang sehr eigenes Vergnügen, mit solchen
Personen näher bekannt zu werden, und der Umgang selbst gewinnt etwas auch schon in dieser
Rücksicht sehr anziehendes. So ging es auch für den Anfang; allein es verliert sich dieses bald; und
dieses kleinliche Vergnügen - wenn ich es so nennen darf - machte gar bald dem höheren Platz,
welches ich durch den wirklichen Umgang und die nähere vertraute Unterhaltung mit diesen
vorzüglichen Menschen hatte. Dazu war dieses in Absicht auf die äussere Haltung zugleich viel
wert, da ich wenig hier in Gesellschaft ging und unter dem Burschenleben man nur zu leicht die
Politur verliert.
Doch so ganz sollten die Ferien nicht den Studien gewidmet sein: Eine Reise nach B
auf die Osterfeiertage [1918] sollte uns zerstreuen. Am aller unangenehmsten habe ich immer die
Festtage in Marburg hingebracht; denn von Kindheit an am grossen . . . . derselben gewöhnt, sah ich
sie auch hier mit denselben Gefühlen kommen und die ganze Freude der Kindheit stellte sich dem
Blicke dar, allein sie kamen und gingen wie jeder andere Tag, auch nicht im mindesten für das
einzelne ausgezeichnet; [ - 36 - ] und dies war es eben, was mich . . . . mit Leere, und wenn sie
vorbei waren, mit einem unangenehmen Nachgefühl erfüllte. Jeder Familienkreis hat so sein
eigenes Wesen, das sich von Kind auf einprägt und gar bald durch Gewohnheit etwas angenehmes
Wesentliches (?) des Ganzen wird. Schon die Vorbereitungen, die in einem Hause getroffen werden:
das Scheuern, das Aufputzen, und dann am Morgen die . . . . Haltung in allem, und der feierliche
Anstrich, welcher dem Ganzen im Haus gegeben wird, macht den Tag erst zu einem Feste. Fällt
dieses alles hinweg, so ist die Festigkeit selbst dahin. Mir schwebten jene früheren Bilder aus den
Zeiten der Kindheit nur noch zu . . . . vor Augen und drum war eine Reise nach B . . . .
unternommen.
Es war ein himmlischer Frühlingsmorgen, mit dessen Anbruch wir uns in ein
Chuschen setzten und durch das schöne Lahntal hinflogen. Das ganze Tal hatte sich für den ersten
Festmorgen geschmückt, von Dorfe zu Dorfe läuteten die Glocken zur Frühkirche und auf der
Strasse und in den Dörfern begegneten uns Schaaren geputzter Leute. Ehe wir uns versahen waren
wir in Giessen, welches wir aber nach einem kurzen Frühstücke wieder verliessen, um weiter zu
Fusse unseren Weg fortzusetzen. Wir gingen durch das Thal, schifften über die Lahn nach Wetzlar
hinüber und kamen gegen Abend nach Braunfels, wo ich wieder sehr froh und freundschaftlich
empfangen war. Den Abend noch war ein schöner Circel guter Freunde bei Bode (Bock), und nun
reihten sich hieran Gesellschaften und Feste, welche die ganze Zeit über füllten. Vorzüglich auf dem
Schlosse erlebten wir manche angenehme Stunde. Besonders gedenke ich noch eines Abends,
welcher einen sehr angenehmen Eindruck auf mich machte. Wir waren zu einem Banquett aufs
Schloss geladen und wurden zu dem sog. alten Stocke geführt, wo Prinz F. einen Rittersaal im alten
Geschmack eingerichtet hatte. Der Fussboden mit allerlei Bilderwerk in Steinen belegt, die Fenster
mit kleinen bunten Scheiben, durch deren Bilder der Tag in mannigfaltiger Farbe hereinschien und
die Geschichten auf den Fussboden mahlte; die tiefen Nieschen mit kleinen Polstern an den Seiten
und mit hohen Rüstungen aus der starken Ritterzeit besetzt, welche sich an den ganzen Wänden
hinzogen und ernst mit geschlossenem Visier auf die aufgehangenen Schilde und Trophäen zu
blicken und nach den ungeheuren Ritterschwerten und speeren, die dastanden, zu verlangen
schienen. In der Mitte des Zimmers streckt sich eine Rittertafel, von einem gewirkten alten Teppich
bis zu den massigen Füssen umhangen, auf welcher die Reihe hin alte gebildete Pocale winkten und
sich auf den geschnitzten Stühlen - von denen der eine ein Lehnstuhl der Heiligen Elisabeth war -
niederzulassen einluden. In dem Kamine knisterte die Flamme, die Pocale füllten sich, sodass der
goldene Saft die schönen Bilder daran nur noch sehr hob. Wir setzten uns nieder und unter
Rundgesang und Becherklang dünkten wir uns ganz in die Ritterzeit zurück (wo wir wohl
schwerlich dahier gesessen haben würden). Allein die Becher waren dem verzärtetem Geschlechte
zu gross, und hierin hielten wir unseren Stolz nicht ganz, aber gerade der dadurch bewirkte
exeltierte Zustand trug noch mehr dazu bei, uns ganz in eine andere Zeit zu versetzen; welche uns
an allen Plätzen ansprach. Zumal war es ein beispielloser Sturm am Abend, welcher in den alten
Thürmen brauste und die Wolken, unter denen der Neumond sich verbarg, an den Himmel hinjagte.
Erst spät nach Mitternacht kehrten wir, die Wendeltreppe herabstolpernd nach Hause zurück und
träumten den Ritterrausch aus; auf welchen den Abend danach eine Gesellschaft zu Thee nach
modernem Style in den neuen Flügeln des Schlosses folgte - und hierbei fühlten wir doch recht,
dass jede Zeit ihre Zeit hat.
Sehr interessant war mir auch noch auf dem Schlosse ausser den schönen Gemälden
aus der niederländischen Schule insbes. die Gewehrkammer, wo von den ältesten Haken an bis auf
die modernsten Gewehre mit schönen Verzierungen viele Arten von Schusswaffen sich befanden;
noch mehr aber als dieses die Sammlung der in der dortigen Gegend ausgegrabenen deutschen
Altertümer. Denn dass sie dies und nicht römischen Ursprungs sind, ist wohl als gewiss
anzunehmen: grössere und kleinere [ - 37 - ] gerundete Näpfe und Aschenkrüge von
schwarzgrauem Tone mit Bleiglanz; einzelne eiserne Spitzen, wahrscheinlich von Speeren, auch sah
man die Spuren des Schaftes darin, Art Messer (?) von Erz usw. Es ist gar interessant, durch
bestimmte . . . . Sachen die handgreifliche Bewahrheitung des grauen, entfernten Altertums vor sich
zu haben und sich die Vorfahren vor sich zu denken, die einst diese Speere führten und diese
Messer (Waffen ?) gebrauchten, deren Existenz auf die späte Nachwelt kam, während die - von
deren Händen sie die armselige Ausgeburt sind - spurlos verwischt sind. Wenn es keine bessere
Dauer für uns gäbe, müssten wir jedes Ding beneiden, das die Form der Materie länger
zusammenhält, da Streben nach einiger Dauer die Tendenz jedes beseelten Wesens ist, während die
Theile, die der formlosen Materie angehören, nur unwillig das Joch tragen und in das All
unaufhaltsam zurückzukehren streben, wo sie jedoch eine neue Form immer erwartet und Plato
spricht wirklich in dieser Hinsicht nicht unwahr, wenn er die Materie wider Willen von der
Weltenseele bezwingen lässt. Der Seele Tendenz aber ist im Gegensatze von jener Ewigkeit, so wie
sie von Ewigkeit genommen ist.
Einige Freunde riefen uns von der Beschauung ab, um einer Partie in den Thiergarten
beizuwohnen, wozu sich eine angenehme Gesellschaft gesammelt hatte und wo wir den Tag sehr
vergnügt unter den knospenden Bäumen zubrachten.
Nach 8 glücklich verbrachten Tagen kehrte ich mit meinem Freunde D wieder
hierher zurück und eine auf der Axe gehende Chaise von Giessen aus rumpelte uns auf der neuen
Chaussee selbst die Erinnerung an das Vergangene für die Zeit des Weges aus dem Kopfe. Zum
Unglück waren wir noch nicht hypochondrisch genug, um diese Kur heilsam zu finden. Gegen
Abend kamen wir hier und in die engen Wände meiner niedrigen Stube, die der Bücherstaub noch
mehr verengte, schnürten mir die Brust zusammen; allein es half nun nichts; das Vergangene musste
vergessen sein, da die Zukunft alle Kräfte heischte; mein Examen rückte näher heran und ich hatte
noch vieles vorzubereiten und durchzuarbeiten, da ich gerade auf das Examen noch wenig getan
hatte.
Kategorie: Bibliographie